Wir sind tief traurig.
Unser Kollege und Freund Christian Schmidt ist am 14. August 2024 unerwartet gestorben.
Im Jahr 2001 ist Christian zu uns ins Archiv gekommen, mit seiner markanten schwarzen Trainingsjacke und jeder Menge Fanzines im Gepäck, seiner wahrscheinlich größten Leidenschaft. Christian haben wir es zu verdanken, dass unsere Fanzinesammlung fortan immer umfangreicher wurde, denn er spendete über Jahre hinweg tausende an Heften aus seiner eigenen Sammlung an das Archiv. Unermüdlich sichtete und sortierte er und überzeugte auch viele weitere Fanzinemacher*innen und Sammler*innen davon, uns ebenfalls ihre Exponate anzuvertrauen. Selbstverständlich drehten sich auch die ersten Projekte, an denen er im Archiv beteiligt war, um Fanzines – 2003 das Projekt „Fanzinebibliothek“ und daran anschließend 2004 die Wanderausstellung „Fanzines – Do It Yourself!“, die er mitkuratiert hat.
Als Kulturanthropologe und Historiker beschäftigte er sich im Rahmen von diversen Forschungs- und Digitalisierungsprojekten auch auf wissenschaftlicher Ebene mit Fanzines. Nachdem er sich einige Jahre vor allem als Ausstellungsmacher in Leipzig betätigt hatte, war er ab 2015 als wissenschaftlicher Mitarbeiter Teil unseres Forschungsverbundprojekts „JuBri – Techniken jugendlicher Bricolage“, für das er – wie hätte es auch anders sein können – u.a. eine Fanzine-Ausstellung realisierte. Im vom JuBri-Forschungsverbund herausgegebenen Sammelband „Szenen, Artefakte und Inszenierungen“ (2018) veröffentlichte er seine ganz eigene Theorie über Fanzines als „Medien der Bricolage“, die weder in Hinblick auf ihre Form noch ihre Inhalte klar zu bestimmen seien. In den darauffolgenden Jahren folgten weitere außergewöhnliche Projekte rund um diese besondere Mediengattung: Im Rahmen des Projektes „UnBoxing“ war er maßgeblich an einem Digitalisierungskonzept für Fanzines beteiligt, das auch ethische und materielle Aspekte mitbedachte. Im von Christian konzipierten Projekt „Y-KLRMPFNST verständlich gemacht!“ entstand eine digitale Edition eines Berliner Punkfanzines aus den 1980er Jahren. Und zuletzt trug er im Projekt „SPUR“ seit 2023 in mühevoller Arbeit Spuren von DDR-Punks und anderen ostdeutschen Subkulturen in westdeutschen Fanzines zusammen.
Daneben hat er immer wieder Fanzine-Workshops gegeben und Vorträge in unserem Bildungsprogramm Culture on the Road gehalten und so Jugendliche wie Erwachsene begeistert, auch selbst welche zu kreieren. Keiner konnte so mitreißend und umfassend über sie sprechen wie er. Auch den seit vielen Jahren stattfindende Zine-Klatsch hat Christian (mit)organisiert, ein mehr oder weniger regelmäßig stattfindendes Treffen für alle, die seine Begeisterung für Fanzines teilten - denn Christian liebte es, Menschen zusammenzubringen und zu vernetzen, gerne bei gutem Essen und leckeren Getränken.
Aber auch abseits seiner Leidenschaft für Fanzines hat Christian überall im Archiv seine Spuren hinterlassen: 2006 war er Lektor des im damaligen Verlag des Archivs der Jugendkulturen veröffentlichen Bandes „Street Art. Die Stadt als Spielplatz“, 2009 erschien ebenda sein zusammen mit Katrin Klitzke herausgegebenes Buch „Street Art. Legenden zur Straße“. Als Ausstellungsmacher war er an vielen Ausstellungen des Archivs beteiligt – er konzipierte die Wanderaustellungen „Träum schön weiter“ von Jugendlichen aus Berlin-Neukölln und „New Faces – mit Kultur und Medien gegen Antisemitismus“, es folgten eine ganze Reihe von Ausstellungen mit Jugendlichen der deutsch-tamilischen Gesellschaft. Für die überarbeite und erweiterte Auflage unserer Ausstellung „Der z/weite Blick“ über Jugendkulturen und Diskriminierungen machte er das Lektorat.
Mit seinen vielfältigen Aktivitäten und leidenschaftlichem Netzwerken hat Christian über all die Jahre wesentlich dazu beigetragen, das Archiv im In- und Ausland zu einem Knotenpunkt für alle an Jugend- und Subkultur und Fanzines interessierte Szeneaktivist*innen und Forscher*innen zu machen. Seine Begeisterung für alles Anarchische und Kultur abseits des Mainstreams, sein geradezu enzyklopädisches Wissen und sein jahrzehntelanges Engagement für das Archiv der Jugendkulturen haben ihn zu einem unverzichtbaren Menschen in unserem Verein gemacht. Der plötzliche Tod von Christian hinterlässt eine große Lücke bei uns, fachlich und menschlich. Wir werden seine Expertise, Warmherzigkeit, Offenheit, Großzügigkeit und seinen unverwechselbaren Humor sehr vermissen.
Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie, seinen Freund*innen und allen weiteren Personen, die ihm nahestanden.
Wir hatten noch so viel zusammen vor. Du fehlst uns sehr, Christian.
Das Team und der Vorstand vom Archiv der Jugendkulturen