Rechte Szene auch im Osten out

HipHop, Skateboarder und Punks sind am populärsten – die Rechten stehen auch bei ostdeutschen Jugendlichen auf der Anti-Beliebtheitsskala ganz oben.

Aus westdeutscher Perspektive erzeugte die Maueröffnung ein interessantes Phänomen: In den 80er Jahren war Neonazismus in den Altbundesländern noch ein großes Thema. 1989/90 verschwand der westdeutsche Rechtsextremismus plötzlich von der Agenda der Medien und der politischen Bildung. Für Rechtsextremismus war nun der Osten Deutschlands zuständig. Es wurde der Eindruck erweckt, dass Neonazis die dominante Jugendkultur Ostdeutschlands wären und ganze Städte als „national befreite Zonen“ in der Hand der Rechtsextremen lägen. Doch auch wenn es immer wieder kolportiert wird, ist es noch lange nicht wahr.

Denn fast alles, was wir über „die Jugend“ und ihre Kulturen wissen, wissen wir aus den Medien. Diese sind aber naturgemäß vor allem an dem Extremen und dem Negativen interessiert. Sie leben nun einmal davon, stets das Außergewöhnliche, Nicht-Alltägliche in den Vordergrund zu rücken: Jugendliche, die sich monatelang in antifaschistischen Jugendgruppen oder Schülerinitiativen wie „Schule ohne Rassismus“ aktiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagieren, sind den Lokalzeitungen in der Regel kaum ein paar Zeilen wert, drei randalierende Neonazis, die „Sieg heil!“ gröhlend durch ein Dorf laufen, erfahren hingegen sofort eine bundesweite Medienresonanz. Vor allem, wenn sie aus dem Osten Deutschlands stammen.

Richtig ist, dass Fremdenphobie in den neuen Bundesländern stärker grassiert als im weltoffener sozialisierten westdeutschen Bürgertum. Richtig ist auch, dass die Gewaltbereitschaft männlicher ostdeutscher Jugendlicher größer ist als die ihrer westdeutschen Altersgenossen. Das ist allerdings nicht nur eine Folge ost-/westdeutscher Prägung (des fast kompletten Fehlens der Mittelschicht in den neuen Bundesländern), sondern auch der im Osten vorherrschenden kleinstädtischen Struktur. Hier – und nur hier – hat eine Handvoll Neonazis die Chance, durch Besetzung strategisch wichtiger Räume (Bahnhofsvorplatz, Bushaltestelle vor der Schule usw.) und permanente Zurschaustellung körperlicher Aggressivität eine ganze Stadt zu ’kontrollieren’ und unerwünschte „Fremde“ zu vertreiben. Und darum geht es der rechten Szene schließlich: Der militante Neonazismus ist für die Mehrzahl der Angehörigen rechtsextremer Cliquen weniger ein strategisches politisches Konzept, sondern der Versuch von der bunten Vielfalt des Lebens verwirrter Untertanengeister, ihr kleines Stück Umwelt – so weit ihre Blicke und Fäuste reichen – frei von jeglichem „Fremden“ zu halten, seien es die linken „Zecken“ (Punks u. a.), die „multikulturellen“ HipHopper und Skateboarder, Selbstbewusstsein ausstrahlende Frauen oder die „Ausländer“. Das Idealbild der Rechtsextremen ist ein absolut statisches: Selbst wenn sie einmal für einen längeren Zeitraum ihre Heimatstadt verlassen mussten, was sie höchst ungern und deshalb meist nur gezwungenermaßen tun, etwa, um eine Haftstrafe abzusitzen, möchten sie nach ihrer Heimkehr alles unverändert vorfinden. Schon die neue Frisur der Freundin (sofern vorhanden) oder der Wechsel der Stammkneipe zu einer unbekannten Brauerei kann sie zutiefst verstören. Und dann schlagen sie empört zurück.

Nicht ein wachsendes politisches Interesse, sondern die extreme Gewaltbereitschaft der rechten Szene führte in den 90er Jahren zwangsläufig dazu, dass sich der kulturelle Alltag vieler Jugendlicher auf die einzige Frage zuspitzte: Bist du rechts oder links?

Definitionsmerkmale für „rechts“ und „links“ waren (und sind) dabei nicht fundierte politische Positionen, sondern subkulturelle Stilelemente (Kleidungsmarken, Musikgeschmack …) und die Einstellung zu „Ausländern“. Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass etwa jeder achte Deutsche über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügt und 30 bis 45 Prozent der Deutschen fremdenfeindlich denken (entgegen der öffentlichen Wahrnehmung Jugendliche signifikant weniger als 35-55-Jährige). Zugleich lehnt aber die Mehrheit der Jugendlichen – auch in den neuen Bundesländern – die militante rechte Szene ab und will mit deren Angehörigen im persönlichen Umfeld nichts zu tun haben. Dies zeigt sich beispielsweise an der von der rechtsextremen Szene produzierten Musik: In jeder Schulklasse Deutschlands sind Bands wie Landser oder Die Zillertaler Türkenjäger wohlbekannt. Hunderttausende von Jugendlichen haben sich deren Lieder von Freunden kopiert oder aus dem Internet heruntergeladen. Doch die Urteile der meisten Jugendlichen über diese Musik fallen zumeist nicht sehr positiv aus: „Rechtsrock“ aus Deutschland ist in der Regel grottenschlechter Agit-Prop von Musikern, die weder spannende Geschichten zu erzählen wissen noch ihre Instrumente beherrschen: Musik aus der Szene nur für die bereits Recht(s)gläubigen in der Szene. Die größte Faszination dieser in der Regel ein aggressiv rassistisches Weltbild transportierenden Musik ist offenbar das Provokative, der Ruch des Verbotenen: Jede Indizierung treibt die Verkaufs- und Kopierzahlen in die Höhe.

Eine Ursache für die Ablehnung der rechten Szene und ihrer Kulturangebote ist die seit Mitte der 90er Jahre rasant gestiegene Attraktivität alternativer Musik- und Jugendkulturen. Millionen Jugendliche in Ost und West fühlen sich heute der HipHop- und Skateboarder-Szene verbunden, sind Techno-, House-, Punk-, Hardcore-, Reggae- oder Soul-Fans. Die Rechtsextremen gelten heute bei immer mehr Gleichaltrigen nicht mehr als die Avantgarde von morgen, sondern als die letzten Deppen von gestern, die es immer noch nicht geschafft haben, auf den Zug der Zeit zu springen. Daran ändern auch bunte Kostümierungen einzelner Vorzeige-Neonazis wenig, die strategisch clever bei medienwirksamen Auftritten Che-Guevara-„Trägerhemden“, Palästinensertücher und Beckham-Iros spazieren führen.

Dass Neonazis derzeit die (anderen) Jugendkulturen entdecken und massiv versuchen, wo immer möglich einen Fuß in die Tür – bzw. Party – zu bekommen, hat gute Gründe: Für viele Jugendliche sind Jugendkulturen Orte hohen Engagements und emotional stark besetzte Beziehungsnetzwerke. Denn dort kommt alles zusammen, was Jugendliche fasziniert: Musik, Mode, Körperkult, Gleichaltrigenstrukturen. Jugendkulturen sind artificial tribes, künstliche Stämme und Solidargemeinschaften, deren Angehörige einander häufig bereits am Äußeren erkennen. Sie füllen als Sozialisationsinstanzen das Vakuum an Normen, Regeln und Moralvorräten aus, das die zunehmend unverbindlichere, entgrenzte und individualisierte Gesamtgesellschaft hinterlässt.

Keine Jugendkultur zuvor hat so viele Junge aktiviert wie HipHop. Kreativität und Realness – authentisch sein – sind dort der einzige Weg, sich Respekt zu verdienen. Auch die Technoszene, Punks und Skateboarder haben deshalb keine Nachwuchssorgen, weil sie zumindest von den Kernszene-Angehörigen ein hohes Maß an Engagement fordern – und damit gerade für jene (Minderheiten) attraktiv werden, die genau so etwas suchen. Es sind oft die Kreativsten ihrer Generation. Denn trotz aller Kommerzialisierung – wo Jugendkulturen sind, ist die Industrie nicht fern – sind es schließlich die Jugendlichen selbst, die die Szenen am Leben erhalten. Sie organisieren die Partys und andere Events, sie produzieren die Musik, sie geben derzeit in Deutschland mehrere tausend szeneeigene Zeitschriften – sog. Fanzines – mit einer Gesamtauflage von mehr als einer Million Exemplaren jährlich heraus. Zumindest für die Kernszene-Angehörigen sind Jugendkulturen vor allem Orte der Kreativität und des Respektes, den sie sich durch aktives Engagement, nicht durch das Tragen der „richtigen“ teuren Streetwear verdienen.

20 bis 25 Prozent der Unter-Dreißigjährigen („Jugend“ endet schon längst nicht mehr mit 18) gehören Jugendkulturen an, identifizieren sich mit ihrer Szene, tendenziell mehr in Großstädten als ländlichen Regionen. Doch das Wissen über und die Sympathie/Antipathie-Werte für Jugendkulturen unterscheiden sich kaum noch von Stadt zu Land, Ost zu West. Denn auch der Kreuzberger HipHopper erhält seine Infos über neue Tonträger/Events/Trends etc. in seiner Szene nicht auf der Straße, sondern via MTV, Internet und anderen Medien. So wirken sich regional unterschiedliche Lebensbedingungen jugendkulturell nicht mehr aus.

Um den Kern der Aktiven jeder Jugendkultur herum schwirrt ein großer Schwarm von Mitläufern und Sympathisant_innen, die nicht völlig in einer (einzigen) Jugendkultur aufgehen wollen, sich aber doch in zahlreichen Bereichen ihres Lebens an diesen orientieren. Die Minderheit der Szeneangehörigen ist zugleich der opinion leader und das role model für die Mehrheit der Gleichaltrigen. So geben sich in der Jugendkulturen-Präferenzstudie 2004/2005 des Archivs der Jugendkulturen rund zwei Drittel der befragten 1001 14-18-jährigen ostdeutschen Schüler_innen als Sympathisant_innen wenigstens einer Jugendkultur zu erkennen.

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